Neben den Aktivitäten während der Festzeiten und den individuellen Riten gibt es auch Rituale die täglich stattfinden. Sie können in eine Festzeit eingebettet sein oder parallel zu ihr ablaufen. Diese alltäglichen Rituale werden heute jedoch nicht mehr regelmäßig durchgeführt 1
Zum Alltag der Canela gehören ‘Gesang-Tanz-Rituale‘, die Morgens vor Sonnenaufgang, am Nachmittag und Abends nach Sonnenuntergang stattfinden. An diesen Tänzen und Gesängen nehmen überwiegend Frauen teil, die von einem Vorsänger zusammengerufen werden. Es gibt mehrere Vorsänger, von denen einer in der Ratsversammlung oder von einer Moiety ausgewählt wird. Er kündigt das Ritual mit einer Kürbisrassel auf dem Dorfplatz an. Daraufhin kommen die jungen Frauen und Mädchen des Dorfes zusammen und stellen sich in einer Reihe vor dem Vorsänger auf. Die Besitzerin der Sängerinnen-Schärpe sollte als Erste anwesend sein. 20 bis 30 Frauen können bei diesem Ritual zusammen kommen, während der Festzeiten sind es 60 bis 70. Das Singen kann mehrere Stunden dauern. Die Männer singen selten mit, begleiten das Singen aber mit Instrumenten (Hörner, kleine Kürbisse mit Löchern) oder tanzen dazu 2.
Die Inhalte der Lieder können aus dem Leben der Dorfgemeinschaft gegriffen sein oder auch eine Geschichte aus früheren Zeiten erzählen. Oft handeln die Texte auch von Tieren und Pflanzen, vor allem dann, wenn eine Jagd bevorsteht oder die Ernte gut ausfallen soll 3.
Gesang-Tanz-Rituale
Ehrenobjekte
Jungen und Mädchen können durch besondere Leistungen sogenannte ‘Ehrenobjekte‘ erhalten, indem sie bei Festen oder Ritualen durch ihre Teilnahme besonders positiv auffallen.
Ein Mädchen kann bis zu drei besondere Auszeichnungen erhalten. Diese drei Ehrenobjekte sind eine Kette mit einem kleinen Flaschenkürbis, ein kleiner Holzkamm (meist ebenfalls an einer Kette befestigt) und eine Sängerinnenschärpe, die hahí genannt wird. Diese Objekte können vor oder nach dem Erhalt ihres Reifegürtels verliehen werden, in der Regel aber vor der Geburt ihres ersten Kindes. Um die Sängerinnenschärpe zu erhalten, muss das Mädchen besonders häufig bei den täglichen Gesang-Tanz-Ritualen erscheinen, besonders bei denen am frühen Morgen. Die Sängerin mit der besten Stimme und dem ungewöhnlichsten Singtalent wird mit der hahí ausgezeichnet. Die Familie des Mädchens entscheidet, ob sie Trägerin der Schärpe wird. Entscheidet sich diese dafür, webt ihre namensgebende Tante die hahí aus Baumwolle. Sobald ein Mädchen diese besondere Auszeichnung erhält, muss sie fortan als Erste bei dem täglichen Singen erscheinen. Ab diesem Zeitpunkt gilt sie als Vorbild für die anderen Sängerinnen 1.
Junge Männer können ihre Ehrenobjekte in den Initiationsfesten Khêêtúwayê, Pepyê und Pepkahàk gewinnen. Dadurch sollen sie motiviert werden, sich bei den Tänzen und Gesängen während der Feste besonders anzustrengen. Derjenige, der während der Festzeit am besten gesungen hat, wird mit einem Zeremonialstab ausgezeichnet. Dieser Zeremonialstab wird vom namensgebenden Onkel des Jugendlichen mit Ara-Federn geschmückt. Die Federn stammen von dem Kopfschmuck, den die Initianten während des Khêêtúwayê-Festes tragen. Zudem erhält der Jugendliche einen Federkopfschmuck, den sein namensgebender Onkel ebenso aus Ara-federn herstellt. Ein junger Mann der diese Objekte erhält, darf von nun an am häufigsten singen.
Eine weitere Auszeichnung sind spezielle Armbänder aus Baumwolle. Diese ‘SängerInnen-Armbänder‘ werden von den jungen Männern und Ehrenmädchen getragen, die bei der Waytikpo-Zeremonie, während der Pepyê und Pepkahàk – Feste vortanzen. Am Ende der Wè tè-Festzeit werden die besten Tänzer und Sänger mit diesen Armbändern ausgezeichnet 2.