Lebenszyklus der Frauen

Ab einem Alter von sechs Jahren beginnt das Mädchen seinen weiblichen Verwandten im Haushalt zu folgen und sie so gut es geht dabei zu unterstützen. Dabei wird es mit seiner Rolle in der Gesellschaft vertraut gemacht. Mit ungefähr elf Jahren verliert das Mädchen seine Jungfräulichkeit an einen kinderlosen älteren Mann aus der Gemeinschaft, der ihr gefällt. Dies wird als ‘erste Heirat‘ bezeichnet. Nach der ersten Menstruation werden dem Mädchen Sexual- und Nahrungstabus auferlegt und es muss für mehrere Tage im Elternhaus bleiben. Während der Initiation wird es ein ‘Ehrenmädchen‘ und ist nun ein Teil der Männergesellschaft. Anschließend beginnt die mé nkrekre-re-Periode, in der es große Freiheit genießt und wenig Verantwortung trägt. Mit durchschnittlich 16 Jahren gebärt eine Frau ihr erstes Kind und geht ihren Aufgaben nach und kümmert sich um Haushalt, Kinder und Familie. Im Allgemeinen nehmen die Frauen bis zu einem Alter von 30 Jahren an Festlichkeiten und Ritualen auf dem Dorfplatz teil. Danach wird die Teilnahme ganz eingestellt und sie beobachten das Geschehen lediglich gemeinsam mit den Kindern. Nach der Heirat der Tochter oder dem Ausziehen der Söhne genießt die Frau ein weitgehend freies Leben mit nur wenigen Verpflichtungen.

Lebenszyklus der Männer

Ab dem Alter von sechs Jahren erlernt der Junge durch Spiele und Gruppenarbeiten erste körperliche Fähigkeiten. Er erhält von seinem Namensgebendem Onkel Pfeil und Bogen, um spielerisch auf seine Aufgabe als Jäger vorbereitet zu werden. Kurze Zeit später werden dem Jungen die Ohren traditionell durchstochen (heute nur noch selten). Im Alter von ca. zwölf Jahren wird der Jugendliche von einer älteren Frau aus der Gemeinschaft an sexuelle Praktiken herangeführt. Für den Heranwachsenden beginnt anschließend die Resguardo-Phase mit strengen Sexual- und Nahrungstabus.
Nachdem er erfolgreich an den Initiationsfesten teilgenommen hat, wird er als Mann anerkannt 1. Erst jetzt kann er in die Struktur der Moieties vollständig aufgenommen werden, verschiedene politische und soziale Aufgaben übernehmen und aktiv an Gesängen und Tänzen auf dem Dorfplatz teilnehmen.
Ab diesem Zeitpunkt bis zu der Geburt des ersten Kindes übernimmt der junge Mann individuelle Aufgaben innerhalb der Gesellschaft und genießt große Freiheit. Als Vater nimmt seine aktive Teilnahme an Festen stetig ab, da die Hauptaufgabe darin besteht, seine Familie zu versorgen.

Bildung

Durch die Unterstützung von Hilfsorganisationen wie der SPI, dem Indian Service oder der FUNAI gelang es den Canela im Dorf eine Schule einzurichten um die Landessprache Portugiesisch zu erlernen und andere Fertigkeiten zu erwerben. Außerdem ist es heutzutage üblich, das Kinder der Canela zusammen mit Kindern von NeobrasilianerInnen Schulen in benachbarten Städten besuchen.
Eine Schriftsprache gibt es bei den Canela ursprünglich nicht. Wissen und Weisheiten über Riten, soziale Fertigkeiten, Jagd, Haushalt und das Leben wurden mündlich tradiert.

C-L, 1.11

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C-N, 10.17

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Kultureller Wandel

Als dann erstmals Händler das Dorf der Canela erreichten, brachten sie allerlei Gebrauchsgüter wie Haushaltsgegenstände, Jagdinstrumente usw., also individuelle Besitztümer mit sich, was den Canela zuvor völlig unbekannt gewesen war. So besteht heute ein persönlicher Anspruch auf Gebrauchsgegenstände wie z.B. Äxte oder Schusswaffen. Diese Veränderung hat nicht nur das Konfliktpotenzial innerhalb des Dorfes erhöht, sondern impliziert auch einen Bruch mit traditionellen Werten. Auch wenden sich seit mehreren Jahrzehnten immer mehr junge Canela von der traditionellen Lebensweise ihrer Gemeinschaft ab und ziehen in nahegelegene Städte.

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Wirtschaft und Tourismus

Vor dem Kontakt mit NeobrasilianerInnen wurde die Nahrungsversorgung hauptsächlich über Jagen, Fischen und Sammeln von Knollen und Früchten gesichert. Ackerbau betrieb man nur nebenbei, zur Nahrungsergänzung, da das Territorium groß genug war, um alle Mitglieder der Gruppe mit Fleisch zu versorgen. Durch Umsiedlungen und insbesondere durch die Eingrenzung ihres Territoriums fand eine wirtschaftliche Umorientierung statt. Handel und Ackerbau wurden wesentlicher Bestandteil ihrer Subsistenz.
Durch neu gebaute Handelswege, Brücken und von der Indianerhilfe gestiftete Fahrzeuge sind die Canela seit einigen Jahrzehnten in der Lage selbst nach Barra do Corda zu fahren um dort Waren zu kaufen und zu verkaufen. Neben landwirtschaftlichen Produkten auch selbst hergestellte Schmuck- und Kunstgegenstände. Diese werden, für die einheimischen BrasilianerInnen und TouristInnen, aus gekauften Materialien wie Nylonfäden, bunten Kunststoffperlen, Fäden und Ziermünzen gefertigt. Die zum Verkauf stehenden Schmuckstücke haben in Farbe und Form oft kaum etwas mit den rituellen Artefakten der Canela zu tun. Ketten, Armbänder, Ringe und Gürtel in bunten Farben werden den Touristen als `Canela-Schmuck´ verkauft. Bereitwillig tragen diese ihre Souvenirs in die Heimat. Dadurch wird auch ein falsches Bild der Kultur der Canela vermittelt. Im Gegensatz zu anderen Kulturen tragen sie Schmuck nur anlässlich bestimmter Feste und Riten (z.B. beim Durchlaufen von Initiationsritualen) und nicht zur reinen Verzierung der Person, wie das durch den Verkauf der Artefakte impliziert wird. Eine Ausnahme stellt hier die Körperbemalung dar, die auch dem alltäglichen Schmuck sowie dem Ausdruck der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen dient.
Der Verkauf von Kunsthandwerk ist allerdings eine gute Einkommensquelle für die Canela und trägt zusätzlich zur eigenständigen Versorgung mit finanziellen Gütern und somit zu ihrer Unabhängigkeit bei.

Erwerbstätigkeit

Männliche Canela nehmen während der Regenzeit häufig Tätigkeiten als Hilfsarbeiter bei NeobrasilianerInnen an, um in dieser Zeit Versorgungsengpässen entgegenzuwirken. Sie arbeiten entweder in der Landwirtschaft oder auf dem Bau, wobei sich beliebtere Arbeit bei Hilfsorganisationen, MissionarInnen oder EthnologInnen findet.
Die Canela haben zusätzlich das Recht auf Sozialbezüge wie Alters- oder Unfallrente. Diese Einnahmen werden über Verteilungs- und Tauschregeln in die jeweiligen Verwandtschaftsgruppen und in die Dorfgemeinschaft gebracht 1.

Konsumverhalten

Das Konsumverhalten der Canela wurde stark von den NeobrasilianerInnen beeinflusst. Eine im Jahre 1956 gebaute Brücke über den Fluss Alpercatas ermöglichte die Einfuhr von Gütern aus den umgebenden Städten. Der Überschuss aus der landwirtschaftlichen Produktion wird in Barra do Corda verkauft, um von dem erwirtschafteten Geld verschiedenste westliche Güter zu kaufen, wie z.B.: Taschenlampen, Radios, Batterien, Fahrräder, Stühle, Gasflaschen, Hängematten, Stoffbahnen für Wickelröcke, Hosen, T-Shirts, Plastiksandalen, Sonnenbrillen, Schrotgewehre und Munition, Haumesser, Kaffee, Zucker, Schnaps und Medikamente 1.
Tabak war den Canela schon vor dem Kontakt mit den NeobrasilianerInnen bekannt, jedoch waren sie im Anbau nicht erfolgreich oder fürchteten den Versuch. Auch fand der Tabak keine zeremonielle Verwendung 2.

C-E, 72.15

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C-K, 145.5

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Umwelt

Aufgrund der geografischen Lage und der klimatischen Begebenheiten ist der abwechslungsreiche Zyklus der Umwelt von großer Bedeutung für die Canela. Nach ihrer Auffassung beginnt das Jahr mit dem ersten Tau Anfang September. Durch die aufkommende Feuchtigkeit wachsen die ersten Pflanzen, was den Beginn der Regenerationszeit ausmacht. Ab diesem Zeitpunkt beginnt man mit der Verteilung des Saatguts, um für das kommende Jahr vorzusorgen. Für die Canela ist es die Phase zwischen September bis Januar, die Zeit, in der die wilden Früchte reif werden.
In der darauffolgenden fünfmonatigen Phase kümmern sich die Canela hauptsächlich um das Einholen der Ernteerträge.
Mit den ersten stärkeren Winden im Juni beginnt die Trockenzeit, was das Ende der Erntezeit bedeutet. Ab hier werden die Felder für das kommende Jahr vorbereitet. Die anschließenden Monate sind von extremen Temperaturen der Trockenheit gekennzeichnet, bis Ende August die ersten Cumuluswolken zurückkehren 1.

Jagdmethoden

Fallen werden zur Jagd nur selten und ausschließlich für bestimmtes Wild eingesetzt (Hirsche, Pakas und Agutis). Gejagt wird meist alleine oder zu zweit. Große Tiere wie Hirsche werden auch von in Bäumen eingerichteten Sitzen gejagt. Ameisenbären werden im Laufen leicht eingeholt und erschlagen. Gürteltiere werden durch Hiebe auf den Schädel getötet, dazu benutzen die Jäger Stöcke und andere harte Gegenstände.
Nandus (port. emas) werden mit Hilfe einer Tarnung gejagt. Die Canela lassen dazu Palmgrasblätter von ihrer Stirn und ihrem Nacken herunterhängen und bemalen sich ihr Gesicht mit Holzkohle. In der Trockenzeit lauern sie den Sträußen nahe der Wasserstelle auf. Seriemas, eine Vogelart, sind leicht zu erlegen, werden aber nur gejagt, wenn ein Mangel an anderem Wild herrscht.
Falken sind während Waldbränden leicht zu fangen, wenn sie durch das Feuer von aufgescheuchten Insekten angelockt werden. Die Federn der Falken wurden früher außerdem für zeremonielle Zwecke verwendet 1. Aufgrund der Beschaffungsschwierigkeit ist man heute zum Gebrauch von Entendaunen übergegangen.

Jagdwaffen

Der Bogen gilt ursprünglich als die wichtigste Waffe der Canela, wird jedoch gegenwärtig immer mehr von Gewehren abgelöst. Die Canela besitzen heute wohl mehr Feuerwaffen als jede andere indigene Timbira-Gruppe 1. Bögen werden aus Pau d’arco-, Piquita- oder Pau roxo-Holz hergestellt. Die Größe des Bogens hängt von dem Stellenwert des Besitzers in der Gruppe ab.

Bogen M 1326, Bogen M1163, Pfeil M 1334

Bogen dunkel M1326, Bogen hell M1163, Pfeil M 1334

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